| ZITRONENGESICHT – Teil 2 |

«Ach Mensch, ist es nicht herrlich? Wir liegen in unserer Oase, geniessen diese frisch geöffnete Schachtel Kirschstängeli und hören dazu auf meinem Lieblings-Kassettenrecorder die besten Songs meiner Lieblingsbands!» sagt der Hund zu mir und schmeisst sich erneut ein Kirschstängeli gierig in den Rachen.

«Es ist mir ein Rätsel, warum du grammatikalisch immer die 1. Person Mehrzahl einsetzt, wenn du von deiner gegenwärtigen Tätigkeit schwärmst!» sage ich zum Hund. «Mensch, es dürfte selbst dir nicht entgangen sein, WIR sind ZWEI Lebewesen! Was grammatikalisch die 1. Person Mehrzahl zur Folge hat. Also hat der Hund eben seine Ausführungen in einwandfreiem grammatikalischen Deutsch von sich gegeben!» schulmeistert der Hund mal wieder herum.

Hätte sich das eben vom Hund Erzählte, in Tat und Wahrheit auch so abgespielt, wäre die Verwendung der 1. Person Mehrzahl durchaus korrekt!» ist meine umgehende Antwort. «Unterstellt mir der Mensch eine unkorrekte Wiedergabe der tatsächlichen Geschehnisse?» empört sich der Hund. «Korrekt!» kontere ich blitzschnell. «Ach ja, und wie will der Mensch anhand einer rein akustischen Erläuterung diese Behauptung in den Raum stellen?» sagt der Hund mit einer Prise Unmut in der Stimme.

«Mein treuer Freund…» beginne ich zu sagen als der Hund mir ins Wort fällt. «Hör zu Mensch! Ich weiss wir zwei müssen familiär verwandt und nicht freundschaftlich bekannt sein! Denn, Freunde kann man sich aussuchen, für die Familie kann man nichts! Ausser der familiäre Grad sei durch Heirat entstanden, was bei uns auch nicht gegeben ist!»

«Jaja, gut Blööcky nun sei aber still! Also, mein Freund! Es mag sein, dass ich visuell nichts oder fast nichts erkennen kann! Wenn der Hund mir aber akustisch einen Blödsinn erzählt, merke ich es natürlich! Bevor du mir nun wieder dazwischen quasselst, kläre ich dich auch gleich auf warum! Wenn ich selber kein Kirschstängeli angeboten bekomme, und der Hund die Schachtel zudem unter sich begräbt, damit ich auch ja keines ergattern kann wenn der Hund mir zudem keinen Platz in seiner Oase lässt und ich somit daneben auf dem Boden liegen muss, ist es einfach nicht korrekt, wenn der Hund grammatikalisch von WIR spricht!» lasse ich meinem Ärger Luft.

Der Hund liegt noch immer relaxt in seiner Oase, schmeisst sich seelenruhig ein weiteres Kirschstängeli in den Rachen und spricht so als hätte unsere bis hierhin geführte Diskussion nie stattgefunden: «Wenn wir nun schon so schön zusammen chillen, sag mal was war denn der Grund für dein Zitronengesicht über den ganzen heutigen Tag?»

«Hast du mir eben nicht zugehört?» sage ich in einer Mischung aus Erstaunen und Verwunderung. «Doch, doch, aber Hund hat beschlossen Belangloses von Relevantem zu filtern und sich nur noch der Essenz zu widmen!» entgegnet der Hund überheblich. «Ach ja? Dann würde ich mal den Filter in deinem Gehörgang auswechseln, denn es scheint mir hier einiges schief zu laufen!» mache ich mich über den Hund und seine Aussage lustig.

«Also Mensch, kommen wir auf das Zitronengesicht zurück! Du wolltest ja mit mir darüber sprechen!» entgegnet der Hund mit ruhiger Stimme. «Du nervendes Blööcky! Ich komme wohl nicht drum rum. Also dann, Lauscher auf und keine Zwischenrufe, sonst laufe ich davon! Mir wurde heute bewusst, wie schwierig es ist, mit einer schlechten Sehleistung im beruflichen Umfeld seinen Weg gehen zu können! Als sogenannter Normalsehender kannst du dich eigentlich grenzenlos Aus- und Weiterbilden! Somit stehen Tür und Tore offen! Ja, du kannst dich verwirklichen worin und wann du willst! Als körperlich Herausgeforderter hast du genauso viele Interessen und Fähigkeiten um mit Weiterbildungen so nahe wie möglich an deinen Traumjob zu gelangen! Aber leider traut einem das niemand zu! Was? Du arbeitest noch? Kannst du denn überhaupt noch arbeiten? Wenn du eine Ausbildung in Betracht ziehst, dann geht’s gleich weiter! Das geht doch nicht, wie willst du denn dies ohne zu sehen bewältigen! Ja, die Schulen sind in aller Regel nicht auf Personen mit Behinderungen ausgelegt!

Der Lernstoff ist trotz Digitalisierung oft nicht zugänglich, oder wenn digital Vorhanden in einer so schlechten Qualität, dass die Screen Reader es nicht erkennen! Ganz zu schweigen vom Inhalt der einzelnen Lektionen! Flipchart hier, Zettelchen da, Beamer dort! Das bedeutet: ich kann nicht folgen! Also macht es wenig Sinn überhaupt zu starten. Was heisst das Hund?» schliesse ich meine Wutrede und schaue erwartungsvoll zum Hund.

Bevor der jedoch antworten kann fahre ich fort: «Genau, wenn wir das Glück hatten und eine Firma uns eine Chance gäbe sich zu beweisen, dann gibt in aller Regel kein Weiterkommen durch Weiterbildung. Aus den eben genannten Gründen. Als Korbflechter oder Masseur zu Arbeiten entspricht einfach nicht meinen Fähigkeiten. Aber die Weiterentwicklung einfach zu beerdigen, entspricht nicht meinem Naturell.

Schön, dass ich arbeiten kann, aber auch wenn ich fast nichts mehr sehe, habe ich trotzdem nach wie vor den Wunsch mich zu entfalten! Und zwar ohne immer zuerst die chinesische Mauer überwinden zu müssen!» Nach einer Weile, in welcher wir uns nur angeschwiegen haben, ergreift der Hund das Wort. «Da hat sich beim Menschen einiges an Frust abgebaut! Hier Mensch, nimm ein Kirschstängeli! Das löst natürlich die Probleme nicht, aber es hilft ganz kurzfristig etwas!»

One Comment on “| ZITRONENGESICHT – Teil 2 |”

  1. Schöne Zitronengeschichte mit Hintergrund. Lieber Patrick, Du hast soviel erreicht und leistest wahrlich Deinen Beitrag an die Gesellschaft, Du hast eine tolle Familie, bitte ziehe die Mundwinkel nach oben. Ich wünsche Dir eine schöne Nachosterzeit.
    Liebe Grüsse
    Margrit

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert