| LEBENSWERT |

«Mensch, heute Morgen habe ich in der Tagespresse einen Bericht gelesen. Ich würde gerne mit dir über diesen sprechen. Sei dir jedoch bewusst, der Inhalt wird dich ärgern.» sagt der Hund während ich mich für den Nachhauseweg bereit mache. «Kein Problem, Vierbeine! Wir haben bekanntlich einige Minuten, bis wir zu Hause ankommen.» gebe ich zur Antwort während ich dem Hund noch das Führgeschirr anlege.

«In dem Bericht ging es um einen Sportler, welcher beim Training stürzte und sich einen Wirbel brach. Dieser Bruch hat nun zur Folge, dass er von der Brust an gelähmt ist.» beginnt der Hund zu erzählen, als wir das Haus verlassen haben. «Ich gehe davon aus, dies ist noch nicht der Teil, welcher mich aufregen wird? Denn dies ist ja sehr tragisch Hund.» unterbreche ich den Hund. «Nein natürlich nicht Mensch. Ich muss aber in deinem Falle ja immer sehr weit ausholen, damit du es dann schlussendlich auch kapierst.» faucht der Hund mich an.

«Verstanden – zuhören!» flüstere ich leise vor mich hin. «Geht doch! Also, wo war ich? Genau, der Sportler hatte einen Trainingsunfall und wurde dann natürlich hospitalisiert. In der Corona Zeit wurde er im Spital isoliert und durfte gemäss Bericht, nicht einmal seine Freundin empfangen.» erzählt der Hund weiter. «Dies ist aber extrem hart. Da liegst du in einem Spitalbett, weisst noch nicht wie ob du je wieder gehen kannst und bist dann noch wochenlang allein. Da dreht wohl jeder durch.» unterbreche ich den Hund.

«Das denke ich auch.» entgegnet der Hund. «Da hast du recht. Ich rege mich schon wieder auf. Es ist richtig, wir haben diesen Virus nun, aber wir sollten doch lernen mit einem gesunden Menschenverstand an die Sache heran zu gehen. Da liegt ein Mensch schwer verletzt im Spitalbett, kämpft neben den Verletzungen wahrscheinlich auch mit psychischen Problemen. Sicherlich wäre er auf einen ihm nahe stehenden Menschen angewiesen, um besser damit fertig zu werden. Aber er wird buchstäblich allein gelassen.» ereifere ich mich. «Tja, das ist eure Spezies.» sagt der Hund schulterzuckend.

«Scheint so. Natürlich, wir müssen wo immer versuchen, die Schutzmassnahmen einzuhalten. Also Hände waschen, Abstand etc. aber sicherlich nicht sich verrückt machen lassen. Die Schäden, die mangels sozialem Kontakt entstehen können, sind auch nicht zu unterschätzen. Dasselbe ist doch, wenn jemand im Sterben liegt und keiner darf ihn besuchen.» ereifere ich mich weiter!

«Wie wahr, leider liegt derjenige schon im Sterben. Also mit oder ohne Corona.» wirft der Hund ein. «Gut, bei uns können doch die engsten Leute zum Patienten gehen. Einfach nur immer zwei und nicht mehr als eine Stunde.» sage ich zum Hund nach einer Weile. «Okey, habe ich vergessen zu erwähnen. Der Sportler war zwar Schweizer, aber den Unfall hatte er in seiner Wahlheimat, den USA.» teilt mir der Hund seine Ergänzung mit. «Ach so.» murmle ich leise vor mich hin. «Soweit hat der Mensch mal alles verstanden, dann kommen wir nun zum eigentlichen Teil. Der Unfall ist nun schon zwei, drei Monate her. Er konnte nun offenbar auch in sein Umfeld zurückkehren. Die Reha Phase wir noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Ein Spendenkonto wurde auch schon eingerichtet, um die Reha und die damit benötigten Dinge anschaffen zu können. Nun kommt der Teil, bei welchem ich denke, du wirst dich etwas aufregen.» bereitet mich der Hund vorsichtig vor.

«Dann bin ich ja mal gespannt.» gebe ich augenrollend zur Antwort. «Nun hat sich der Sportler offenbar über die Sozialen Medien über sein Seelenleben geäussert. Er schreibt er habe dieses scheiss Behindertenleben satt. Sein Körper funktioniere nicht mehr normal. Es gehe ihm jeden Tag schlecht, er schlafe nicht gut, und das wenige, das er machen wolle, mache ihn wütend. Weil alles so langsam geht. Weil nichts mehr selbstverständlich ist.» schliesst der Hund seine Äusserungen.

«Tja, offensichtlich hadert da ein Mensch mit seinem Schicksal. Ist doch irgendwie auch nachvollziehbar.» entgegne ich. Eine Weile gehen wir Wortlos nebeneinanderher. «Da muss einer noch viel akzeptieren lernen und versuchen daraus das Beste zu machen. Natürlich wird es immer wieder Tage geben, an denen er hadert und es nur sehr schlecht akzeptieren kann. Ich hoffe er lässt dann seinen Unmut nicht an seinem Umfeld aus. Denn auch deren Leben hat sich verändert und sie können nichts dafür, dass er nun im Rollstuhl sitzen muss.» sage ich leise zum Hund.

Wieder schweigen wir eine Weile und erneut ergreife ich als erster das Wort. «Du hattest recht. Ich habe mich in der Tat  zuerst etwas aufgeregt.» «Darf der Hund wissen über was.» will der Hund sichtlich neugierig wissen. « Über den Ausdruck «das Scheiss Behindertenleben». sage ich. «Habe ich mir gedacht. Aber warum?» will der Hund wissen. «Weil dies auf den ersten Blick dem Leser vermittelt, dass ein Leben als Behinderter nicht lebenswert ist.» gebe ich zur Antwort.

Es ist in der Tat nicht immer einfach und hin und wieder ist es sehr anstrengend. Weil gewisse Dinge nicht oder nicht selbstständig gemacht werden können. Da kann es natürlich vorkommen, dass man hadert und wütend werden kann. Dies ist normal und gilt wohl auch für nicht Behinderte. Aber, auch als sogenannt Behinderter hat das Leben einiges auf Lager, an welchem ich mich trotz Einschränkung erfreue und es extrem lebenswert macht.» schliesse ich meinen Gedanken.

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