1:0 für den Kassettenrecorder

„Hallo Hund – steh auf, es ist Zeit für unseren Morgenspaziergang!“ rufe ich dem Hund zu während ich mit guter Laune und den Schuhen in der Hand an seiner Wohlfühloase vorbeigehe. „Du siehst ja heute wieder mal aus wie eine leergefressene Schachtel Kirschstängeli.“  Diesen Witz kann ich mir einfach nicht verkneifen. Aber das Lachen vergeht mir schnell.

Ich stosse mir meinen kleinen Zeh am herumliegenden Kassettenrecorder. Dieses vermaledeite, antiquierte Modell aus den 1984ern ist mit dem Hund bei mir eingezogen und liegt ständig irgendwo im Weg.

Nachdem die halbe Milchstrasse vor meinen Augen vorbeigezogen ist, klingt der stechende Schmerz im Zeh endlich ab. Ich schleudere die übelsten Flüche in die Richtung vom Hund.

„Nana, wer betet dann zur frühen Stunde schon die Bibel Rückwärts?“ entgegnet mir dieser, ziemlich verschlafen dreinblickend.

„Wäre es dem Hund eventuell möglich, dieses Gerät nicht immer mitten im Gang zu platzieren? Der Wohnungsbesitzer wäre dem Hund wirklich sehr dankbar!“  diese Worte zische ich mit schmerzverzehrtem Gesicht.

„Ist der Herr Wohnungsbesitzer heute mal wieder gereizt?!?“. Der Hund wendet sich genervt ab.

„Was heisst hier gereizt?“ Jetzt bin ich richtig sauer. „Wir leben doch heute im Zeitalter von iPod, iPad und Co. Aber nein! Der Hund hört lieber seine grottenschlechten, selbst aufgenommenen Kassettenmixtapes auf einem überdimensionalen, aus der Vorkriegszeit stammenden Recorder, an welchem ich, dank seines dussligen Wesens die Zehen breche! Es mag dem Vierbeiner entgangen sein, dass wir im Zeitalter der i-Geräte leben! Mit diesen habe ich meine Musiksammlung immer dabei wenn ich sie brauche, ohne stapelweise CDs oder Tapes durchsuchen zu müssen. Ich erstelle ganz einfach Wiedergabelisten und spiele je nach Lust und Laune die passende Musik ab. Aber nicht nur Musik, nein mit der ganzen Welt vernetzt sein kann ich mit diesem Wunderding ohne die Füsse anzustossen!“ Mein Monolog wird von meinem piepsenden Mobiltelefon unterbrochen. Ein mehrmaliges Surren signalisiert mir eingehende Meldungen und Erinnerungen.

Der Hund schaut hinter seiner soeben frisch angebrochenen Kirschstängeli Schachtel hervor und sagt mit aufgesetzter, synthetisch klingender Stimme: „NSA und Edward Snowden haben deine zwei Nachrichten sowie deinen Termin überprüft und werden die Daten entsprechend weiterverarbeiten. Nach kurzer Verbraucherpropaganda deines Geräteherstellers wird die Wiedergabeliste umgehend weiter abgespielt.“

Bevor ich etwas sagen kann, steht der Hund mit der Leine vor mir und witzelt trocken: „Komm jetzt, bevor Big Brother dich noch daran erinnern muss, dass ich dringend Gassi gehen sollte!“

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