«Mein lieber Vierbeiner, wir müssten dann in Kürze los.» rufe ich dem Hund wieder mal zu als ich früh morgens an seiner Oase vorbei gehe um die letzten, benötigten Utensilien zu rüsten. «Kann es sein, dass der Mensch heute Morgen etwas müde ist?» ruft mir der Hund unerwartet wach ab seiner Oase zu. «Ich bin sonst um diese Zeit sicherlich wacher.» gebe ich durchaus etwas müde dem Hund zur Antwort. «Dies glaube ich dir aufs Wort.» entgegnet der Hund. «Ach ja und warum?» will ich wissen.
«Normalerweise hört und sieht Hund vom Menschen ab dem Moment, in welchem er ins Bett geht, bis er dann, gefühlt mitten in der Nacht, wieder aufsteht nichts. Diese Nacht aber, habe ich durchaus mitbekommen, dass du länger wach warst und in der Wohnung rumgetigert bist.» teilt mir der Hund seine Beobachtungen mit. «Stimmt Hund. Ich konnte diese Nacht nicht schlafen.» stimme ich dem Hund zu.
«Darf Hund erfahren, warum der Mensch nicht schlafen konnte?» ruft mir der Hund zu. «Mich hat das Thema unseres gestrigen Nachhauseweges beschäftigt.» gebe ich dem Hund zur Antwort. «Das Thema betreffend dem Bericht über den Sportler mit dem Trainingssturz?» ruft der Hund ab seiner Oase. «Genau Vierbeiner.» entgegne ich. «Was hat den Menschen denn so beschäftigt?» will der Hund wissen. «Natürlich ist es tragisch was passiert ist. Es ist hart, wenn von einer Sekunde auf die andere das Leben eine ganz andere Wendung nimmt- Da braucht es viel Geduld, Willen, Durchhaltekraft und Zeit. Die Aussage von wegen «scheiss Behindertenleben» kann in einem hoch kommen. Es zeigt aber auch, wie unsere Gesellschaft tickt. Es hat keinen Platz für anders sein. Schneller, höher, besser, schöner, und so weiter begleiten unsere Gesellschaft Tag für Tag. Diese Themen sind wohl auch bei dem Sportler das Problem. Ich habe den Bericht auch noch zu Gemüte geführt. Wenn ich es richtig im Kopf habe, ist er etwas über Mitte Zwanzig. Ein Profisportler, rein körperlich in der Blüte seines Lebens. Angekommen an der Weltspitze seines Faches. Da brauchst du eine Menge Ehrgeiz, natürlich Willen und Egoismus. Also ist nur das Beste gut genug. Da hat es keinen Platz für Schwäche.» beende ich meinen Monolog, um inne zu halten.
«Entschuldigung Mensch, aber so läuft es in deiner Spezies ja tag täglich ab.» wirft der Hund ein. «Ich weiss Hund. Dies hat mich auch beschäftigt. Nehmen wir gleich mal unseren Sportler. Natürlich habe ich keinen persönlichen Kontakt mit ihm. Wenn ich aber den Inhalt des Berichtes mir in Erinnerung rufe, hat er Mühe zu akzeptieren, dass nun vieles nicht mehr so funktioniert wie er es sich gewohnt ist. Er hat Mühe mit der Tatsache, dass es mühsam, ja anstrengend, nervend aufreibend sein kann. Gewisse Dinge dauern ewig oder gehen gar nicht. Also alles Dinge die in seinem «alten» Leben keinen Platz hatten. Er sich wahrscheinlich gar nie damit auseinander gesetzt hat, nie auseinandersetzen musste.» erkläre ich mich dem Hund.
«Ist dies aber nicht normal? War dir dies vor der Diagnose bewusst?» will der Hund von mir wissen. «Ich weiss es nicht mehr. Nein, es war mir sicherlich nicht bewusst. Da hast du schon recht.» sage ich leise. «Ich denke es ist auch nicht ganz vergleichbar.» wirft der Hund ein. «Was meinst du?» fahre ich dem Hund ins Wort. «Beim Sportler trat die Veränderung von einer Sekunde auf die andere ein. Bei dir hingegen kam es schleichend. Also konntest du dich etwas besser darauf einstellen.» entgegnet der Hund. «Dies stimmt natürlich Hund. Trotzdem habe ich versucht mit dem jeweiligen Zustand das Optimum heraus zu holen. Es gab auch Momente, wo ich feststellen musste, dass gewisse Tätigkeiten nun nicht mehr gehen. Einige meiner Träume sind erloschen. Dies war nicht schön und ich hatte danach auch weniger gute Tage. Ich habe aber nie Gedanken von wegen «scheiss Behindertenleben». Im Gegenteil! Ich wollte eher beweisen, dass ich trotzdem meinen Platz mitten unter den «normalen» Menschen behaupten kann.» beende ich meinen Einwand.
«Ist dir aufgefallen, dass du im Grunde das gleiche gemacht hast oder immer noch machst?» sagt der Hund zu mir. «Was meinst Du damit?» fauche ich den Hund leicht an. «Du akzeptierst im Grunde deine Einschränkung auch nicht. Oder kannst du mir plausibel erklären, weshalb du krampfhaft versuchst deinen Platz unter den Normalos zu behaupten?» provoziert mich der Hund.
«Ist dies so?» knirsche ich den Hund an. «Wie siehst du es?» gibt der Hund den Ball fies zurück. Ich muss kurz schmunzeln und sage: «Wenn es krampfhaft rüberkommt, muss ich wohl über die Bücher. Natürlich habe ich manchmal Mühe die Behinderung zu akzeptieren. Ich fühle mich dadurch aber nicht weniger wert oder habe das Gefühl, mein Leben sei dadurch nicht lebenswert. Dieses Gefühl bekomme ich eher von aussen hin und wieder zu spüren. Ich habe Tage, an welchen ich zu beissen habe, dass mein Augenlicht fast weg ist. Aber um ganz ehrlich zu sein habe ich manchmal fast mehr damit zu kämpfen, wieviel Energie es mich kostet, als vollwertiger Mensch wahrgenommen zu werden. Ich bin dadurch nämlich nicht dümmer oder gescheiter, höflicher oder unhöflicher als die Normalos. Weisst du was Vierbeiner? Genau vor dem hat wahrscheinlich der Sportler Angst. Angst nicht als vollwertige Person wahrgenommen zu werden.»